Kryptiden (27.09.2006)

Atellounes Zoologikon – Ein Wort zu den Poroggos

Nach langer Zeit gibt es wieder mal eine Ausgabe von Atellounes Zoologikon. Ich freue mich doch immer auf einen Plausch mit tierlieben Freunden wie Ihnen.

Unser Professor Clavauert ist gerade im Nahen Osten unterwegs und scheint vor Ort eine ganz außergewöhnliche Entdeckung gemacht zu haben. Erst gestern ist ein Brief von ihm gekommen. Er schreibt folgendes:


Meine liebe Assistentin Atelloune, Sie werden staunen, wenn Sie dies hören!
Ich glaube, es ist möglich, das einige von ihnen überlebt haben! Schauen Sie sich mal meine Skizzen an.

Das sind Spuren, die ich gestern ganz in der Nähe vom Haus meines alten Freundes Pabool Ja entdeckt habe! Auf den ersten Blick sieht es ja aus wie ein Fußabdruck irgendeiner Kröte, aber wie Sie sehen, fehlen hier die Vorderbeine.... Verstehen Sie, was das bedeutet?
Ja, genau! Es sind ohne Zweifel Spuren ihrer Nachkommen.
Da ich nun einmal hier bin, werde ich nicht zurückkehren, solange ich nicht eins von ihnen mit eigenen Augen gesehen habe. Kümmern Sie sich bitte in der Zwischenzeit um mein Labor.



O nein, nicht schon wieder ― ... aber tatsächlich, schöne Fußabdrücke!
Wie? Sie wissen nicht, wer mit ihnen gemeint ist? Na die Poroggos natürlich! Sie kennen doch das Märchen von der Froschprinzessin. Erinnern Sie sich noch daran? Sie hat eines Tages einen schönen Tarutaru-Jüngling mit ihrer Zauberei entführt und den ärmsten zu ihrem Bräutigam gemacht. Wie vernarrt war die selbstsüchtige Froschprinzessin in das schöne Gesicht des Tarutaru. Und am Ende ist sie dann ja ... ― Schon gut. Sie kennen ja alle das Ende der Geschichte...

Diesmal möchte ich also etwas über die Poroggos erzählen. Sie haben durchaus etwas von den Kröten, wie man sie sonst überall am Wasser antrifft. Man kennt sie aus alten Sagen und Mythen, aber ihre Existenz konnte wissenschaftlich nie belegt werden. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes Kryptiden. O ja, bei diesem Anblick leuchten meine Augen geradezu. Sie sind einfach schön anzusehen, nicht wahr?


Kommen wir nun also zum Eigentlichen.
Vor einiger Zeit wurde in der Optisterie im Raum mit den verbotenen Büchern ein sehr altes Exemplar gefunden. Davon haben sogar die Zeitungen berichtet. Es handelte sich hierbei um eine uralte, sagenumwobene Chronik, die mit einem starken Zauber versiegelt war. Interessanterweise enthält sie im Kapitel zur Epoche der Magie auch einen recht glaubwürdigen Eintrag zu den Poroggos. Genauergesagt ist hier die Rede von Samariri aus Windurst, die die unheilvolle Katastrophe ausgelöst haben soll.

Wie der Eintrag berichtet, hatte dieses zugegeben ein wenig weltfremd anmutende Geschöpf Mitleid mit den Kröten, die auf den Wegen am Wasser immer wieder zertreten wurden, und machte sie deshalb kurzerhand mit einem verbotenen Zauberspruch um ein Vielfaches größer. Diese sogenannten Poroggos konnten danach auf ihren Hinterbeinen stehen und sogar aufrecht laufen. Sie erlangten nicht nur die Fähigkeit zu sprechen, sondern waren letzten Endes in der Zauberei ebenso bewandert wie die Tarutaru.
„Ahh ha ha, jetzt gehört ihr auch zum Volk, seid unsere Brüder und Schwestern“,
hörte man das Mädchen freudig ausrufen.

Daraufhin erhielten die Poroggos das Bürgerrecht, und alle lebten in Eintracht und in Frieden. So war das damals ...
― natürlich nicht!


In der Stadt, die schlagartig voll von Beastmen war, kam es zu einer riesigen Panik! Um der Lage wieder Herr zu werden, mußte die Armee ausrücken. Im Verlauf einer großangelegten Säuberungsaktion wurden daraufhin alle Poroggos getötet.

Haben Sie bis hierhin alles verstanden?
Die Poroggos, die uns bislang nur in alten Märchen begegneten, waren also keine bloße Erfindung. Es waren arme Beastmen, die durch einen verbotenen Zauber in die Welt gesetzt und nach wenigen Tagen bereits wieder ausgerottet worden waren.

Und Jahrhunderte später gab es die nächste große Panik im Windurst-Weiher. Diesmal erfasste sie niemand anderen als unseren Professor Clavauert, der nicht mehr er selbst war, als er erstmals von diesem Genesemythos der Poroggos erfuhr.

Das liegt nun alles schon einige Jahre zurück und war gerade zu der Zeit, als man im Weiher umfangreiche Ausgrabungen unternahm. Professor Clavauert hatte damals viele sonderbare Tierknochen in einer mehrere Jahrhunderte alten Schicht entdeckt und über diesen Forschungserfolg später auf einem Kongress in Jeuno referiert.

„Zunächst habe ich die im Weiher von Windurst zuhauf ausgegrabenen Tierknochen für sehr große Exemplare der Kröten jener Zeit gehalten. Aber nachdem ein Skelett vollständig zusammengesetzt werden konnte, stellte sich heraus, dass es sich hier um eine andere, noch gänzlich unbekannte Spezies handelte.

Ihr Körperbau zeigte zwar auffallende Ähnlichkeiten mit dem von Kröten, aber die Form der Gliedmaßen wies einige merkwürdige Unterschiede auf. Die Hinterbeine ermöglichten wie beim Menschen den aufrechten Gang. Die Vorderbeine hatten jeweils daumenartige Glieder ausgebildet. Außerdem konnten sich diese Kreaturen eines nahezu riesigen Gehirnvolumens rühmen, das keinen Vergleich zu dem von einfachen Kröten darstellte. Möglicherweise sind diese uns noch unbekannten Tiere das Ergebnis eines sehr langen Mutationsprozesses, den die Kröten durchliefen, um sich der fortschreitenden Desertifikation in Sarutabaruta anzupassen.“


Nebenbei bemerkt stammt die Bezeichnung „Poroggo“ auch von Professor Clavauert. Für ihn waren diese ausgegrabenen Biester das tierische Pendant zu der exzentrischen Froschprinzessin im Märchen.

Damals brachen auf dem Kongress seine Kollegen in schallendes Gelächter aus und spotteten: „Wenn das wieder eine deiner kryptozoologischen Diskussionen werden soll, trag deine Argumente woanders vor“, oder auch „Du erzählst uns immer, dass sich Lebewesen mit der Zeit entwickeln, aber erklär uns doch bitte mal, warum man in derselben Erdschicht sowohl Kröten als auch Poroggos gefunden hat!“

Professor Clavauert hat selbst mehrfach eingeräumt, dass hier und da Widersprüche bestünden. Dennoch war er von der Richtigkeit seiner Theorie felsenfest überzeugt und machte sich nach dem Kongress sogleich auf den Weg, den unumstößlichen Beweis für seine Hypothese zu erbringen.
Um alle Zweifel aus dem Weg zu räumen benötigte er das fehlende Verbindungsglied, das den Übergang von den Kröten zu den Poroggos bewies, kurzum Überreste von weiteren Krötenarten.

Der Professor war sich durchaus bewusst, dass er mit der ganzen Aktion seinen Ruf als Biologe aufs Spiel setzte. Deshalb war er auch völlig außer sich, als das besagte Buch gefunden wurde. Damit würden keine Widersprüche aus der Welt geschafft werden. Im Gegenteil: zu behaupten, die Anomalien lägen in einem verbotenen Tarutaru-Zauberspruch begründet, liefe auch allen seinen wissenschaftlichen Theorien zuwider.
Das war für ihn der Anlaß, in den Nahen Osten aufzubrechen. Hach, unser Professor hat es schon nicht so einfach...

Bis hierhin soll´s das für heute gewesen sein.
...
Wie bitte? Mit dieser Fährte, dem geheimnisvollen alten Buch und den rätselhaften Fossilien sind Sie noch nicht zufrieden? Sie wollen es aber auch immer ganz genau wissen, was?

Nun gut, also das hier will ich dem Professor schicken. Ich habe einige Strapazen auf mich genommen um es zu bekommen.... Schauen Sie ruhig mal genau hin!
Ein Kryptid, der ganz nach einem Poroggo aussieht, wenn Sie mich fragen. So ein Schnappschuss gelingt nur mit einem speziellen Aufnahmegerät aus dem Nahen Osten.


Das ist nun aber alles für heute. Mehr habe ich heute wirklich nicht zu berichten. Wenn Sie ein Poroggo in natura sehen wollen, dann müssen Sie sich selbst auf die Suche begeben.
Das ist Ihre Hausaufgabe!


Illustration by Mitsuhiro Arita